Elfmeter und 19 bange Sekunden

Fussballweltmeisterschaft - in einem Achtelfinal kommt's zum Spiel zwischen USA und Schweden, zwei der weltbesten Mannschaften im Frauenfussball. Inklusive Nachspielzeit keine Tore. Als Sympathisant für tolle Torhüteraktionen war angetan von der Leistung von Zećira Mušović während des Spiels. Doch während des Elfmeterschiessens, spielte ihr Pendant Alyssa Naeher für mich die Hauptrolle. Einen hatte sie gehalten. Dazu gab's weitere Fehlschüsse auf beiden Seiten. Schweden hatte nach einem Pfostentreffer der Amerikanerin Kelley O'Hara die Chance alles klarzumachen. 

 

Lina Hurtig lief an. Ein aus meiner Sicht ziemlich unplatzierter Schuss mit Rechts in die von ihr aus linke Richtung. Alyssa Naeher ist unterwegs in die Ecke. Die Torhüterin ist sogar schon beinahe zu weit in der Ecke, bekommt aber beide Arme noch hoch und kommt mit den Fäusten unter den Ball. 'Wahnsinn - schon wieder gehalten'. Freude über eine Klasse Torhüteraktion mischt sich mit Aufregung und Nervosität, dass es zwei weitere Versuche geben wird. 

Doch der Ball beginnt sich jetzt erst zu senken. 'Fällt der etwa jetzt doch rein?'.

Noch immer in der gleichen Sekunde, in der die Schussabgabe erfolgte, deutet sich jetzt von: 'schwach geschossen - stark pariert' eine nächste Schlussfolgerung an mit: 'glücklich verwandelt'.

Doch Alyssa Naeher hat was dagegen. In einer Mischung aus Drehen, Krabbeln, aus dem Liegen springen und Strecken erreicht sie liegend den Ball erneut mit beiden Händen. Dieses Mal gibt's kein Zweifel mehr. Sie befördert den Ball ins Feld zurück. 'Bärenstark'. 

 

Ich ziehe meinen Hut vor dieser Parade - und realisiere erst einige Sekunden später, wie knapp das wohl gewesen sein muss. Ich ging davon aus, der VAR prüft das natürlich. Aber ich rechnete nicht damit, dass es Sekunden dauert, bis die Entscheidung verkündet wird. 

 

Dreizehn Sekunden nachdem die 'Parade' erfolgte, nimmt Schiedsrichterin Stephanie Frappart die Pfeife in den Mund. 

Lena Hurtig, die Schützin redet noch immer auf die Schiedsrichterin ein - beinahe so, als wolle sie den Ball mit letzter Energie ins Tor hineinreden. 'Bringt doch nix. Die Torlinientechnik sagt's schon. Lasst uns weitermachen.' 

Doch dann - Lena Hurtig fängt an zu jubeln. 'Was? Kann nicht sein?'. Die Schiedsrichterin zeigt an, das Spiel sei aus.  Irgendwie fällt Energie ab, obwohl ich gar nicht selbst auf dem Feld stand. Eine Leere überkommt mich. 'Sie hat gehalten.' Denk ich für mich und frag mich wann denn das Bild eingeblendet wird, welches belegen soll, der Ball sei drin. 

 

Zehn Sekunden nach dem Abpfiff wird Alyssa Naeher eingeblendet. Sie hat den Ball inzwischen im Arm. Sie blickt übers Feld. Ich weiss nicht, was sie fühlt, aber ich interpretiere Ratlosigkeit hinein. Ich bin der Meinung, sie ist felsenfest überzeugt, diesen Elfmeter pariert zu haben. Ich erinnere mich an verschiedene Paraden meinerseits, bei denen ich überzeugt bin, gehalten zu haben, es jedoch als Tor galt. Nicht annähernd eine davon war so ein entscheidender Schuss wie jener von Lena Hurtig. Aber als Torhüter gilt es nie einen Ball reinzulassen. Und Alyssa Naeher hatte alles getan, was sie konnte um den Ball von der Linie zu kratzen. Aber scheinbar vergeblich.

 

Der aus meiner Sicht fragende, ratlose, ungläubige, hilflose Blick von Alyssa Naeher - und dann wird die Wiederholung des Elfmeters gezeigt. Die Slowmotion beginnt und etwa 40 Sekunden nach Schussabgabe bekommen wir die Grafik zu sehen, die belegt: 'Der Ball war drin!' Ich ertappe mich selber den Kopf schütteln und zu zweifeln, ob die Messung wohl wirklich korrekt ist. Auf dem Bildschirm passt kaum ein Haar zwischen den Ball und die Linie. Der kann nicht drin gewesen sein. Sie muss gehalten haben, denk ich für mich. Atme dann einmal durch. Nicke und lächle zufrieden, diese emotionale Achterbahn erlebt zu haben. 

 

Das Spiel zwischen den USA und Schweden an der Fussballweltmeisterschaft der Damen 2023 ist längst einige Tage her und derweil sind auch die Schweden aus dem Turnier ausgeschieden. Aber diese (nicht-)Parade und der ungläubige Blick von Torfrau Alyssa Naeher sind für mich eines der emotionalen Highlights des Turniers und nehmen mich noch immer mit.

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